Wohl kaum ein Wort ist so inflationär geworden, wie das der Liebe. Dabei hat es sich nicht nur abgenutzt, sondern hinter den Kulissen seines betörenden
Klangs auch in die Bedeutung des Gegenteils verwandelt, das uns als suchtartiger Egotrip, konsumierbarer Verbrauchsartikel, besitzergreifende Anspruchshaltung, menschenverachtende
Wegwerfmentalität, schmerzhafte Abhängigkeit und den entsprechenden Entzugserscheinungen mit ihren zerstörerischen Folgen bedroht.
An diesen Abgründen steht der Mensch als geschichtliches Wesen, in dem sich erstarrte Konventionen, tödliche Lebensroutine und moderne Hohlphrasen zu einer
unheilvollen Sinnleere verbinden, worin sich manchmal der Schrei nach Neubesinnung gebiert.
Dieser Schrei entspringt unserer eigenen Schöpferquelle, die sich einen Flusslauf der Erkenntnis bahnen will, der keine künstliche Begradigung verträgt, wenn
die Neuverwurzelung des Seins an seinen Ufern einst gelingen soll.
Dolores Richter hat einen solchen Weg betreten und ist darüber zur Liebesforscherin geworden, deren Botschaft nichts weniger als eine Vision enthält, in der
uns die Liebe als soziales Kunstwerk und erneuernde Zukunftskraft der Menschheit entgegentritt.
Dass dabei der Liebesbegriff an Tiefe gewinnen muss, in der für die Klischees unserer sinnkrisengeschüttelten Spaßgesellschaft kein Raum mehr bleibt,
versteht sich fast von selbst. Zugleich aber zeigt sich, dass die Alternative zu jenem fragwürdigen Spaß nicht etwa Tristesse, sondern echte tiefe Freude, Sinnerfülltheit und eine innere
Freiheit ist, die einer so anarchischen Kraft wie der Liebe wirklich gerecht werden kann. (Wolf Bergelt)